Das Wort “Erdung” hört man öfter in der Yoga-Szene und kommt auch eher aus der spirutuellen Ecke, könnte man meinen. Doch das Konzept, das dahinter steht, ist mir jedoch auch im Bereich der Ethnologie bei Eduardo Kohn und in der Semiotik bei Charles Sanders Peirce begegnet. Semiotik ist die Zeichenlehre, die Anwendung in den verschiedenen Bereichen findet, wie Geistes-, Kultur-, und Sozialwissenschaften. Dabei geht es nicht nur um das sprachliche Zeichen, sondern um Zeichen aller Art.
Geerdet zu sein beschreibt einen Zustand der Verbindung:
- mit dem eigenen Körper
- mit dem Hier und Jetzt
- mit der Umwelt, also mit der Erde und der Natur
Wenn wir geerdet sind, sind wir in der Lage uns selbst, Dinge und Menschen um uns herum besser zu spüren. Wir sind in der Lage das leckere Essen zu genießen, das wir gekocht haben. Wir können anderen Menschen besser zuhören und emphatisch sein, ohne vorschnell unsere eigene Meinung sagen zu müssen. Wir sind in der Lage zu Entspannen – auch ohne externe Reize, wie Instagram, Netflix & co. Und wir können sogar den Sonntag voll und ganz genießen, ohne gedanklich schon bei Montag zu sein. Wir können besser auf unseren Körper hören und spüren, wann wir genug haben (z.B. körperliche Belastung, Nahrung, Stress) oder was wir gerade brauchen (z.B. Schlaf, Bewegung, Entspannung). Wenn wir verbunden und geerdet sind, erkennen wir mit welcher Fülle und Schönheit uns die Natur beschenkt, die es Wert ist zu schützen. Erdung bringt uns Bewusstheit und Klarheit in jeden Augenblick und lässt uns von Moment zu Moment die richtigen Entscheidungen treffen.
Wenn die Erdung fehlt
Wenn man keine Erdung mehr hat, ist man nicht mehr präsent im Augenblick. Gedanklich ist man in einem “Was wäre wenn …?”-Modus. Man ist so verstrickt in Gedanken und Emotionen, dass der Bezug zum Hier und Jetzt abhanden kommt. Wenn wir oft in inneren Monologen aus Selbstvorwürfen, Scham oder Wut stecken und aus Mustern und Reaktionen heraus handeln, fehlt uns die klare Sicht auf den Moment und somit die Offenheit für verschiedene Handlungsmöglichkeiten, die uns die Gegenwart bietet. Wir fühlen uns “stucked” – gelähmt und ausgeliefert. Keine Freude, keine Kreativität, keine Lust. Darüber hinaus fühlen wir uns unsicher und es fehlt der Mut. Mut für Veränderung. Zum Beispiel bleiben viele Menschen in unglücklichen Beziehungen oder in schlechten Jobs aus fehlenden Mut und mangelnder Klarsicht auf die eigene Situation.
Wie kann ich Erdung lernen oder üben?
Erdung, die Verbindung zu Erde und zum eigenen Körper, lässt sich besonders gut im Mūlādhāra-cakra (Wurzelchakra) etablieren. Das Wurzelcakra befindet sich am Ende der Wirbelsäule im Bereich des Steißbeins. Wie der Name es schon verrät, steht das cakra im Zusammenhang mit den Wurzeln, also der Verbindung zur Erde, Stabilität und Sicherheit. Es bildet das Fundament, auf dem alle anderen cakras stehen und ist am nächsten an der Erde dran. Dieses cakra herrscht außerdem über das Überleben und die „fight, flight or freeze“-Modi (Kampf, Flucht oder Schockstarre). Um Erdung aufzubauen hilft als aller erstes der Gang nach draußen in die Natur. Pflanzen, Bäume, Tiere, Erde, Wolken, Regen, Mond und alles, was man findet, urteilsfrei beobachten und mit allen anderen Sinnen wahrnehmen. Mache es zu einer Routine! Manche gehen direkt morgens vor dem Frühstück raus, andere direkt nach Feierabend und wieder andere gehen Abends raus, um den Tag abzuschließen und den Mond zu sehen. Wenn es nicht möglich sein sollte, jeden Tag in einem nahe gelegenen Wald oder im städtischen Park eine Runde zu gehen, sollte dann umso mehr erdende Übungen zuhause machen. Im Dru Yoga gibt es verschiedene Techniken, die dabei helfen das Mūlādhāra-cakra wieder in Balance zu bringen und Erdung herzustellen.